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Corona als Chance begreifen (20.03.2020)

Wir werden aufgehalten in unserem Lauf, gefasste Pläne werden umgeworfen. Wie kann es dabei gelingen, eine positive Einstellung zu bewahren und sich nicht Panik, Egoismus und Irrationalität hinzugeben. Ich versuche in die Zukunft zu schauen. Nicht auf die Fallzahlen von morgen, sondern auf die Möglichkeiten zu positiven Veränderungen in unserer Gesellschaft.

Aktuell finden radikale Einschnitte in unser aller Leben statt. So hart diese im Einzelfall sein mögen, so bergen sie doch die Hoffnung in sich, dass auch andere gesellschaftliche Gegebenheiten, die heute unverrückbar scheinen, geändert werden können und es gelingen kann sie an neuen Maßstäben auszurichten. Der kleine Star Trek Next Generation Fan in mir spürt einen Funken der Hoffnung auf eine utopische Welt wie jene, in der Captain Jean-Luc Picard lebt. Egoismus ist überwunden, sowie das Geld und Kriege. Der Beitrag des Einzelnen zu einer besseren Zukunft ist Kern der Lebensmotivation. In Ausprägungen kann das den Erhalt von Traditionen, die Forschung an neuen Technologien oder eben die Gestaltung von friedlichen Beziehungen unterschiedlicher Planeten bedeuten. Ich eile voraus. Zurück zu den Fragen, die diese aktuelle Krise uns aufgibt.

Was ist wirklich wichtig?

Bin ich „systemrelevant“? Diese Frage schoss mir schon vor einigen Tagen durch den Kopf. Ich glaube, es ist gut, wenn sich eine Gesellschaft von Zeit zu Zeit bewusst wird, was wirklich wichtig und notwendig ist. Das Setzen von Prioritäten ist unerlässlich, um Ziele zu erreichen. Ein solcher Satz, der aus jedem zweitklassigen Projektleitungsratgeber stammen könnte, ist vielleicht auch für die aktuelle Lage interessant. COVID-19 kann helfen, zu sehen, welche Bestrebungen und Aktivitäten, denen wir Raum einräumen, wirklich lebensnotwendig sind. Die Bereiche, die kurz- oder langfristig stillgelegt werden können, ohne das Überleben zu gefährden, stehen nach meiner Wahrnehmung auf dem Prüfstand.

Wollen wir nach der Krise einfach alles wieder hochfahren und weiter machen wie zuvor oder möchten wir diesen Prozess aktiv gestalten und bewusst entscheiden in was wir als Gesellschaft Energie, Zeit und Kraft investieren? In die Wiederherstellung bekannter und vertrauter Strukturen oder vermehrt in Bereiche die echten Wert, Relevanz und Sinn haben?

Ist wirtschaftliche Effizienz die einzig sinnvolle Optimierungsgröße?

Ich wünsche mir, dass das Ringen um gemeinsame übergeordnete Ziele für eine Gesellschaft von morgen wieder ins Zentrum des Lebens rückt. Solche Ziele geben uns Orientierung auch in kleinen Entscheidungen des Alltags. Das heißt unsere Leben werden auf solche Ziele optimiert. Die aktuell stärkste Optimierungsgröße nach meiner Wahrnehmung ist der maximale Gewinn. Das wird in wirtschaftlichem Handeln am deutlichsten, hat aber auch Auswirkungen auf ganz private Entscheidungen wie Partnerwahl, Kindererziehung und Karriereplanung.

Jetzt bringt mit dem neuartigen Coronavirus etwas ganz Kleines unsere großen Gebilde ins Wanken. Ein System, dass wir seit Jahren auf kurzfristigen Gewinn optimiert haben, so das die zum großen Teil von uns selbst geschaffene Bedürfnisse just-in-time befriedigt werden können, kollabiert nun eben genauso just-in-time. Eigentlich wenig überraschend. Ich will hier keinen totalen Kollaps an die Wand malen. Ich bin mir sicher, dass wir uns anpassen und Wege finden mit geänderten Rahmenbedingungen umzugehen. Die Frage ist nun, ob wir diesen Anpassungsprozess nach den gleichen Optimierungsgrößen wie bisher gestalten oder wir unseren Blick weiten und andere Kriterien als wichtig anerkennen? Solche Kriterien könnten Resilienz, Gemeinwohl und Kooperation sein.

Widerstandsfähige oder resiliente Systeme kompensieren Ausfälle und sonstige Störungen besser. Aus meinem technischen Fachgebiet fallen mir da am ehesten verteilte Systeme ein. Dienste und Inhalte werden dabei auf unterschiedliche Hardwareknoten repliziert und stehen so auch beim Versagen eines einzelnen Knotens weiter zur Verfügung. Aktuell wäre es sicherlich hilfreich, wenn Medikamentenproduktion und andere relevante Industrien nicht auf ein Herstellerland konzentriert wären, sondern rund um die Welt verteilt sind.

Beim Thema Gemeinwohl denke ich aktuell am ehesten an die Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber. Er schlägt vor, neben der Gewinnerzielung auch andere Kriterien zur Bemessung des Unternehmenserfolgs zu berücksichtigen. Zum Beispiel was ein Unternehmen für seine Mitarbeiter tut, wie kooperativ es sich zu seinen Zulieferern und Kunden verhält und nicht zuletzt wie es ökologisch wirkt. Über Geneinwohlbilanzen, wie sie die EU-Richtlinie EU-CSR-Richtlinie (2014/95/EU) seit 2017 für Großunternehmen vorsieht, könnten solche erweiterten Maßstäbe unser Verständnis von Unternehmenserfolg Stück für Stück erweitern.

Corona zeigt uns, dass es nicht ausreicht ausschließlich an unsere eigene Gesundheit zu denken, sondern auch an die stärker gefährdeter Mitbürger. Es geht hier eben nicht um darwinistische Konkurrenz und das Durchsetzen des Stärkeren, sondern um Kooperation zum gemeinsamen Nutzen. Kleine Kinder sind zum Anfang ihres bewussten Lebens eher kooperativ ausgelegt. Sie lernen jedoch sehr schnell auf Konkurrenz um, wenn wir ihnen hierarchische Machtmodelle vorleben. Wenn Kooperation ein Leitmotiv unseres Alltags wäre, ließen sich viele Nöte direkter und unmittelbarer beheben.

Sehnsucht nach Nähe

Soziale Distanzierung ist das Ziel der aktuellen politischen Maßnahmen. So sollen Menschenleben gerettet und der Verlauf der Pandemie gestreckt werden. Ob diese Maßnahmen verhältnismäßig sind, lässt sich mit Bestimmtheit derzeit noch nicht sagen. Auch nach der Krise wird es nicht einfach sein ein abschließendes Urteil dazu zu fällen. Kritiker werden sagen, die Maßnahmen seien nicht nötig gewesen, wenn die Zahlen sich gut entwickeln. Befürworter würden einen milden Verlauf auf eben diese Maßnahmen attribuieren. Nun ist es die Frage, ob wir einen Kampf um die Deutungshoheit ausfechten wollen, oder ob wir diese Energie nicht eher in einen vereinenden Prozess kanalisieren.

Die stärkere Distanz zu Menschen hat jetzt schon Folgen bei mir. Ich entwickle eine Sehnsucht danach, zwischenmenschliche Nähe bewusster zu gestalten. In Zukunft muss vielleicht nicht jeder Unbekannte einen Händedruck bekommen. Nicht jede flüchtige Bekanntschaft eine Umarmung. Es könnte bereichernd sein, diesen Zeichen der Zuneigung wieder eine echte Bedeutung zu geben. Ich lasse dich bewusst in meinen Sicherheitsabstand. Ich habe das Risiko abgewogen mir etwas von dir einzufangen und ich gehe es trotzdem ein. Zugewandtheit zu den sonstigen Mitmenschen kann genauso bewusst auf vielen anderen Ebenen gestaltet werden. Sei es zum Beispiel über ehrenamtliches Engagement oder mit ganz praktischer Nachbarschaftshilfe.

Ich will die Zeit und Muße der kommenden Wochen nutzen, um mir zu überlegen, wie ich mir eine bewusst gestaltete Zukunft vorstelle und in welcher Art und Weise ich diese mitgestalten möchte. Ich erhoffe mir davon Ruhe und innere Gelassenheit, was auch immer kommen mag.

Wenn ich auch dich auf ein paar andere Gedanken gebracht habe und du zu neuen Ideen gekommen bist, würde ich mich über ein kleines Feedback freuen.

Liebe Grüße und einen Fist Bump,
Maik Globisch

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